Europa ist schizophren: Obwohl die Nordeuropäer angeblich bei besserer geistiger Gesundheit sind als die Südeuropäer, haben sie die meisten Psychiater. Wie reimt sich das zusammen? Eine Bestandsaufnahme.
Ein Kontinent liegt auf der Couch: Psychische Probleme machen in Europa laut WHO fast 20% aller Krankheitsfälle aus. Jeder vierte Europäer durchlebt irgendwann in seinem Leben mal eine psychisch schwierige Phase. Und neun der zehn Länder der Welt mit der höchsten Selbstmordrate der Welt liegen in Europa, allen voran Litauen mit 30,7 Suiziden pro 100.000 Einwohner.
Am wenigsten von psychischen Problemen betroffen fühlen sich die Nordeuropäer. In einer Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen schneiden die Norweger am besten ab. Von ihnen gaben 70% an, dass sie in den letzten zwei Wochen vor der Umfrage gut gelaunt, entspannt und voller Energie waren. Den zweiten Platz teilen sich die Niederlande, Irland, Deutschland, Dänemark und Schweden mit jeweils 67%. Am psychisch unwohlsten fühlen sich die Türken (47%), die Malteser (53%) und die Rumänen (54%). Nord schlägt Süd.
Seltsamer Weise lassen sich aber gerade die Nord- und Mitteleuropäer besonders gerne verdoktern: Laut OECD gab es 2007 die meisten Psychiater Europas in der Schweiz, nämlich 42 pro 100.000 Einwohner, gefolgt von Island (26) und … just den angeblich so psychisch stabilen Norwegern (25)! Am wenigsten Erfolg haben Psychiater in Polen (6), Ungarn und Spanien (jeweils 6).
Eine ähnliche Aufteilung in Nord/West und Süd/Ost ergibt sich beim Verkauf von Psychopharmaka. Die Isländer schluckten 2007 97 Tagesdosen pro 1.000 Einwohner und hängten damit die Schweden (72) und die Dänen (69) ab. Am seltensten griffen die Slowaken (23), die Ungarn (24) und die Deutschen (34) auf die Arzneimittel für die Seele zurück.
Wenn es um schwere Fälle geht, scheinen die Belgier am besten gerüstet zu sein. Laut Eurostat gab es in Belgien 2008 180 Betten pro 100.000 Einwohner in der psychiatrischen Pflege, in den Niederlanden 140 und in Lettland 2009 134. Die Zahlen sind insgesamt jedoch rückläufig, da man immer häufiger ambulante Einrichtungen den großen psychiatrischen Anstalten vorzieht. Was diese Entwicklung angeht, ist Italien (siehe unsere Sendung) vorbildlich. Dort gibt es nur 11 Psychiatrie-Betten pro 100.000 Einwohner. Weniger sind es nur in der Türkei (6).
Auch was die Dauer der psychiatrischen Behandlung angeht, sind die Praktiken in Europa sehr verschieden. Während psychisch kranke Menschen in der Schweiz durchschnittlich 57 und in der Tschechischen Republik 52 Tage in stationärer Betreuung sind, dürfen sie in Norwegen schon nach 3 und in Frankreich nach 6 Tagen nach Hause.
- Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen zur Lebensqualität der Europäer (2008)
- Infoseite der Weltgesundheitsorganisation zur psychischen Gesundheit der Europäer (auf Englisch)
- Übersicht der OECD: „Gesundheit auf einen Blick“ (2010)
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